
Innovation in Krisenzeiten
Das Ziel von Innovation ist es, neue Möglichkeiten zu erschließen. Systematische Innovationsprozesse und die Investition in Forschung und Entwicklung haben daher zum Ziel, die Wahrscheinlichkeit von zukünftigen Neuerungen zu erhöhen. Neue Möglichkeiten (Produkte, Dienstleistungen, Know-how etc.) bieten zusätzliche Chancen für Wachstum und sind für die grundlegende Anpassungsfähigkeit von Unternehmen entscheidend.

Innovation ist immer eine Investment und von Risiken begleitet. Forschung und Entwicklung geschieht nur durch die Allokation von Ressourcen und kostet stetig Geld. Im Hier und Jetzt zahlt sich Innovation nicht aus - die Früchte von Innovation können immer erst in der Zukunft geerntet werden.
In Krisenzeiten tendieren vielleicht gerade aus diesem Grund viele Entscheider dazu, das operative Kerngeschäft zu schützen, Kosten zu senken und unnötige Investitionen zu vermeiden. Investitionen in Zukunftspotenziale werden dann oft als unnötig empfunden - es sind ja Ausgaben ‘on top’. Doch ist es wirklich schlau in stürmischen Zeiten Investitionen in Innovation zu kürzen?
Innovation als Chance in Krisenzeiten
Paradox, aber wahr: Gerade in Krisenzeiten kann Innovation zum entscheidenden Wettbewerbsvorteil werden! Umfassende Studien von McKinsey belegen eindrucksvoll, dass Unternehmen, die während der Finanzkrise 2009 mutig an Innovationen festhielten, den Marktdurchschnitt um mehr als 30% übertrafen und in den folgenden Jahren ein beschleunigtes Wachstum verzeichneten (McKinsey, 2020 ).
Doch warum fällt es vielen Organisationen so schwer, dieses Potenzial zu nutzen? Die Forschung identifiziert hier den sogenannten “Threat Rigidity Effect” – in Bedrohungsszenarien werden Unternehmen paradoxerweise starrer statt anpassungsfähiger.
“When companies face economic threats, it is easy to respond not only by cutting slack resources out of business necessity but also by freezing the resources allocated for innovation. This is called the ’threat rigidity effect’ where organizations become rigid rather than adaptive in threatening situations.”
Die Geschichte zeigt jedoch: Krisen sind Geburtshelfer bahnbrechender Innovationen! Die Sharing Economy entstand aus der Finanzkrise 2009, als Menschen verzweifelt nach neuen Einkommensquellen suchten. Die SARS-Epidemie 2002 katapultierte Asien an die Spitze des E-Commerce. Und die aktuelle Klimakrise treibt signifikantes Wachstum bei Solartechnologie und E-Mobilität an.
Besonders faszinierend: Die erfolgreichsten Unternehmen kombinieren in Krisenzeiten strategische Kostensenkungen mit gezielten F&E-Investitionen. Unternehmen, die sich 2008 ausschließlich “heraussparten”, zeigten langfristig schlechtere Ergebnisse als jene, die weiter in Innovation investierten.
Für zukunftsorientierte Organisationen bedeutet dies: Wer in der Krise Innovationsressourcen schützt und weiterentwickelt, wird nicht nur überleben, sondern gestärkt hervorgehen und neue Marktchancen erobern, während andere noch mit dem Überleben kämpfen.
Was heisst das für die aktuelle Situation?
Deutschlands Wirtschaft befindet sich immer noch an einem kritischen Wendepunkt. Die multiplen Krisen der vergangenen Jahre – die anhaltenden Auswirkungen des Ukraine-Kriegs, internationale Handels- und Zollkonflikte und die wirtschaftliche Unsicherheit, die mit der Trump-Administration in den USA einhergeht – haben tiefgreifende Spuren hinterlassen.
Laut der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK) verursachte allein der Ukraine-Krieg einen Wohlstandsverlust von rund 160 Milliarden Euro in zwei Jahren – das entspricht etwa 2.000 Euro pro Kopf. Diese Zahlen basieren auf einer Untersuchung des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW Köln) vom Februar 2023, wie in der DIHK-Analyse - Was der Krieg in der Ukraine für die deutsche Wirtschaft bedeutet dokumentiert wurde.
Gemäß einer offiziellen Kommunikation von Friedrich Merz (#MerzMail 06/2025: Deutschlands Wirtschaft muss wieder wachsen! vom 8. Februar 2025) erreichte die Zahl der Unternehmensinsolvenzen 2024 mit über 20.000 Fällen einen Höchststand der letzten zehn Jahre. In derselben Quelle wird auch berichtet, dass knapp drei Millionen Menschen in Deutschland Ende Januar 2025 arbeitslos waren, fast 400.000 mehr als zum Ende des Jahres 2021. Auch die neue Merz-Administration steht vor enormen Herausforderungen. Friedrich Merz betonte in seiner offiziellen Kommunikation: “Deutschland steckt in seiner tiefsten Wirtschaftskrise seit Jahrzehnten.”
Gleichzeitig bietet die Krisensituation – wie etwa die Geschichte zeigt – außergewöhnliche Chancen für Innovation. Die Kernaussage bleibt gültig: Unternehmen, die in Krisenzeiten klug haushalten und gleichzeitig strategisch in Innovation und Zukunftsmöglichkeiten investieren, gehen langfristig gestärkt aus dem wirtschaftlichen Abschwung hervor. Die aktuelle Situation mit all ihren Herausforderungen sollte somit nicht allein als Hindernis gesehen werden, sondern gleichwohl als eine chancenreiche Zeit für neue Ideen und Weiterentwicklung.
Welche Innovationsfelder gibt es z.B.?
Besonders im Bereich der neuen Technologietrends könnten weitsichtige Investitionen entscheidende Wettbewerbsvorteile schaffen:
Laut den Gartner Technologie-Trends 2025 werden folgende Innovationsfelder in den kommenden Jahren entscheidend sein:
Agentenbasierte KI : Eine virtuelle Arbeitskraft, die menschliche Tätigkeiten unterstützt und optimiert – essenziell für Effizienzsteigerungen in Ressourcenknappheit
KI-Governance-Plattformen : Ermöglichen die Verwaltung der rechtlichen, ethischen und betrieblichen Leistung von KI-Systemen
Post-Quantum-Kryptographie (PQC) : Datenschutz, der den Entschlüsselungsrisiken durch Quantencomputing widersteht
Energieeffizientes Computing : Nachhaltigere Technologien durch optimierte Architekturen, Algorithmen und erneuerbare Energien
Hybrides Computing : Kombination verschiedener Rechen-, Speicher- und Netzwerkmechanismen für höhere Leistung
Spatial Computing : Erweitert die physische Welt digital mittels AR/VR für immersive Nutzererfahrungen
Polyfunktionale Roboter : Flexible Automatisierung durch Roboter, die zwischen verschiedenen Aufgaben nahtlos wechseln können
Doch Innovationsbedarf ist nicht auf technologische Bereiche limitiert (!) - es gibt viele Herausforderungen, die beantwortet werden müssen. Sämtliche Bereiche der Gesellschaft sind von neuen Ideen und Ansätzen abhängig, dürsten nach Reformen und Weiterentwicklung. Angefangen beim Bildungssystem, bis hin zu der Gesundheitsversorgung oder dem Rentensystem. Vieles wurde scheinbar jahrzehntelang verschlafen, verschoben oder ignoriert. Unternehmerisch und gesamtgesellschaftlich.
Für zukunftsorientierte Standorte (und Unternehmen) gilt daher mehr denn je: Die aktuellen Krisen dieser Zeit können als Katalysator für Innovation dienen, wenn der “Threat Rigidity Effect” überwunden wird und strategische Investitionen in Zukunftschancen geschehen.
Die wirtschaftliche Zukunft des Standorts Deutschland wird mitunter maßgeblich davon abhängen, ob die neue Regierung die Balance zwischen notwendigen Kostensenkungen, Reformen und zukunftsweisenden Investitionen findet – genau jene Balance, die laut Studien den erfolgreichsten Unternehmen während der Finanzkrise 2008 langfristige Wettbewerbsvorteile verschafft hat. Noch sind die aktuellen OECD Prognosen nicht so optimistisch. Doch weiten wir den Blick: Zukunft muss und kann nur eine europäische Perspektive haben.
Innovation im Kontext geopolitischer Umbrüche – Eine europäische Perspektive
Die aktuelle Situation Deutschlands ist schlichtweg nicht isoliert zu betrachten, sondern eingebettet in einen umfassenden europäischen (und globalen) Kontext. Externe Bedrohungen und Krisen haben historisch oft als Trigger für die europäische Integration gewirkt – ein Phänomen, das gerade wieder hochaktuell ist. Wie Jean Monnet, einer der EU-Gründungsväter, treffend bemerkte: „Europa wird in Krisen geschmiedet und wird die Summe der Lösungen sein, die für diese Krisen gefunden werden" (IPG Journal, 2025 ).
Dies gilt nicht nur für den sicherheitspolitischen Bereich, sondern eben auch im besonderen Maße für Innovation und Technologie:
Strategische Autonomie durch Innovation: Mit dem europäischen Verteidigungsfonds REARM EUROPE plant die EU-Kommission Investitionen von 150 Milliarden Euro, die nicht nur militärische Kapazitäten aufbauen, sondern auch in innovative Bereiche wie Cybersicherheit und digitale Infrastruktur fließen sollen.
Reaktion auf geopolitische Spannungen: Der schwelende Handelskonflikt zwischen Europa und den USA zwingt europäische Unternehmen, ihre Innovationsstrategien neu auszurichten – besonders in Schlüsselsektoren wie der Automobilindustrie, die unter Druck steht, ihre Technologieführerschaft zu behaupten.
EU als Innovationsförderer: Der European Innovation Council (EIC) hat seine Programme für Schlüsseltechnologien substantiell erweitert und unterstützt zukunftsweisende Projekte durch Risikokapital, Beratung und Vernetzung über nationale Grenzen hinweg.
Europäische Robotik-Initiative: Der VDMA hat einen konkreten Robotik-Aktionsplan für Europa vorgeschlagen, um den industriepolitischen Agenden anderer Staaten, insbesondere Chinas, etwas entgegenzusetzen. Der Plan umfasst eine Robotik-Offensive, mehr Risikokapital für europäische Start-ups und einen gesamteuropäischen Fahrplan zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit in den Bereichen Robotik und Künstliche Intelligenz.
KI-Fabriken für Europa: Die EU-Kommission hat mit der Auswahl weiterer KI-Fabriken eine wichtige Initiative gestartet, um die europäische Führungsrolle im Bereich der künstlichen Intelligenz zu stärken. Diese Fabriken werden durch eine kombinierte nationale und EU-Investition von rund 485 Millionen Euro unterstützt und bieten privilegierten Zugang für KI-Startups und kleine und mittlere Unternehmen. Einige Konzerne bewegen sich bereits.
Digitale Souveränität und “Buy European”: Fast 90 europäische Unternehmen und Verbände fordern von der EU-Kommission eine Buy European-Initiative , um mehr digitale Souveränität zu erreichen. Besonders betont wird die Notwendigkeit einer hochsicheren Cloud als EU-Ankerpunkt sowie die Einrichtung eines “Souveränen Infrastruktur-Fonds” für kapitalintensive Investitionen wie Quantencomputer oder ein Chip-Ökosystem.
Exponentielles Wachstum des KI-Marktes: Studien zeigen, dass der globale Markt für generative KI im nächsten Jahrzehnt voraussichtlich 1,3 Billionen USD erreichen wird . Für Europa bedeutet dies sowohl eine enorme Herausforderung als auch eine historische Chance, in diesem zukunftsweisenden Technologiebereich nicht den Anschluss zu verlieren.
Diese Beispiele verdeutlichen: Die aktuelle Zeit mitsamt ihrer Krisen und Herausforderungen ist nicht nur Bedrohung, sondern kann auch als entscheidender Wendepunkt gesehen werden und Neues möglich machen. Für Unternehmen, welche die Schockstarre überwinden, eröffnen sich auch mitunter aufgrund struktureller und externer Veränderungen Chancen, um durch strategische Investitionen, kluges Haushalten und koordinierte Innovationsarbeit ihre Position im globalen Wettbewerb nachhaltig zu stärken.
Deutschland steht als wirtschaftliches Schwergewicht Europas dabei ebenso vor der einmaligen Gelegenheit, nicht nur die eigene Innovationskraft wiederzubeleben, sondern auch eine wichtige Rolle bei der zukünftigen Orientierung des gesamten Kontinents einzunehmen.
Fazit: Innovation als strategischer Imperativ
Die Perspektive, Innovation in Krisenzeiten zu priorisieren, erscheint vielleicht auf den ersten Blick paradox – doch die Geschichte und empirische Studien unterstreichen deutlich, wie wichtig der Blick nach vorne ist. In einer Zeit, in der die Welt mit multiplen Herausforderungen konfrontiert ist, könnte sich die (kontrollierte) Investition in neue Chancen, als entscheidender Faktor für die langfristige Wettbewerbsfähigkeit von Europa erweisen.
Statt dem “Threat Rigidity Effect” zu erliegen, könnten Unternehmen und Regierungen:
Effizienz steigern: Krisensituationen zwingen häufig zum kontrollierten Haushalten und dem Reduzieren von nicht essentieller Kosten. Eine gute Option ist es dabei, die Effizienz und Wirksamkeit der bestehenden Prozesse kritisch zu analysieren, zu optimieren und ggfs. zu modernisieren.
Strategische Netzwerke ausbauen: Der Aufbau von Partnerschaften und neuen Allianzen über Unternehmensgrenzen und Landesgrenzen hinweg kann nicht nur dabei helfen, Ressourcen zu bündeln und Synergien zu schaffen. Gleichzeitig werden neue Opportunitäten erschlossen und Perspektiven erweitert.
Defensive und Offensive ausbalancieren: Die Kombination aus sinnvollen Sparmaßnahmen und strategischen Investitionen in zukünftige Wachstumschancen kann die langfristige Wettbewerbsfähigkeit stärken.
(Technologische) Souveränität priorisieren: Die übermäßige Abhängigkeit von externen Technologieprovidern reduziert zwangsläufig die eigene Souveränität und die Wettbewerbsfähigkeit. Um handlungsfähig zu bleiben, müssen zuverlässige technologische Infrastrukturen und Kompetenzen aufgebaut werden.
Antizyklisch investieren: Gerade wenn andere Marktteilnehmer zurückhaltend agieren, können mutige Investitionen in Innovation überproportionale Renditen oder Marktvorteile erzielen. Doch die strategische Balance zwischen Defensive und Offensive sollte gewahrt werden.
Auf Bildung und Potenzial setzen: Bildung, Know-How und kreatives Potenzial sind wichtige Grundlagen für zukünftiges Wachstum und Weiterentwicklung. Eine Infrastruktur für wissenschaftliche und technologische Fortschritte ist dafür ebenso unerlässlich wie eine zeitgemäße (Weiter-) Bildung und ideenfreundliche Rahmenbedingungen.
Effekte kontinuierlich überwachen: Wenn strategische Maßnahmen (etwa im Bereich Innovation) ergriffen werden, müssen die Effekte dieser Maßnahmen kontinuierlich überwacht werden. Man sollte bewerten, ob die beabsichtigen Ergebnisse tatsächlich erreicht werden oder ins Leere laufen. Monitoring und adaptive Anpassungen sind notwendig, um die gesetzten Ziele zu erreichen.
Innovation muss strategisch priorisiert und strukturell ermöglicht werden. In der aktuellen Situation, die von multiplen Krisen und technologischen Umbrüchen geprägt ist, wird die Innovationsfähigkeit mehr denn je zum entscheidenden Differenzierungsmerkmal. In einer multipolaren Welt mit globalen Herausforderungen ist der Ausbau neuer Kompetenzen und die Arbeit an Ideen wichtig für den Erhalt von Wettbewerbs- und Handlungsfähigkeit. Wer es versteht, Krisen auch als Chancen zu begreifen und in die eigene Erneuerung zu investieren, wird gestärkt in die Zukunft gehen.